100 Jahre Beuys … und die Grünen

Ein Essay von Thomas Pischke

Der Kunsttheoretiker, Akademieprofessor und umstrittener Aktionskünstler Joseph Beuys wäre am 12.Mai 100 Jahre alt geworden. In seiner Wirkungsstätte Düsseldorf zeigt die Kunstsammlung NRW zum Jubiläum eine große Retrospektive. In den Feuilletons der Zeitungen sowie in der echten Kunstwelt ist es ein großes Thema.
Aber auch politisch hat dieses Jubiläum Relevanz – schließlich war Joseph Beuys einflussreiches Mitglied der Grünen in ihrer Entstehung.


Joseph Beuys hat in seinem künstlerischen Schaffen immer auch politische Themen transportiert. Sein „erweiterter Kunstbegriff” und sein Konzept der „Sozialen Plastik” gehen aber weit über den musealen Charakter bildender Kunst hinaus und beanspruchen gesellschaftliche Relevanz. Das berühmte Zitat „Jeder Mensch ist ein Künstler” meint nicht nur, dass jeder Mensch ein Künstler sei und somit Kunst hervorbringen könne, sondern meint auch, dass jeder Mensch mit jeder seiner Tätigkeiten an einer gemeinsamen „Welt und die Gesellschaft verändernde soziale Kunst” arbeite. Die Gesellschaft als solche wird damit zum Kunstwerk.

Seine Auffassung von Lehrtätigkeit als Professor an der Kunstakademie und spätestens der befreiende Akt, alle Bewerber*innen der Akademie ungeachtet des Numero Clausus, Aufnahmeprüfung und anderer Hürden als Studierende aufzunehmen, provozierte den damaligen NRW Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) zur Entlassung Beuys als Professor. Was massive Proteste der Studierenden und renommierter Künstlerkollegen sowie enorme Resonanz in den Medien hervorrief. Die politische Konfrontation, die Frage nach „Bildung für Alle” und der daraus resultierende Konflikt mit der sozialdemokratischen Landesregierung, war ein Politikum. Die „Soziale Plastik” der Beuys’schen Kunsttheorie war aus dem akademischen Elfenbeinturm in reale Politik transformiert worden.

Die Gründung der Deutschen Studentenpartei oder der Free International University zusammen mit Klaus Staeck, sein Engagement in der Friedenspolitik gegen den NATO-Doppelbeschluss und viele andere politische Aktivitäten waren aber auch immer mehr als ein Fluxus-Happening sondern echtes, soziales und politisches Anliegen.
Sein Projekt „7.000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung” zur siebten Dokumenta in Kassel 1982 schafft Reflexionsräume nicht nur für ökologische Aspekte, sondern auch für soziale Bezüge und unseren Umgang mit Natur und gebauter Umwelt. Auch (und gerade) heute, gut 40 Jahre später, aktuell wie nie…

Joseph Beuys umweltpolitischee Engagement

In seiner künstlerischen Arbeit waren Natur und Naturmaterialien immanenter Bestandteil. Auch in seinem Weltbild hat Natur und Umwelt immer eine große Rolle gespielt. Kombiniert mit einer fast schon esoterischen Spiritualität in seinen Fluxus-Performances und einem sich aus der Idee der „Sozialen Plastik” abgeleiteten ganz realpolitischen Anspruch entwickelte sich Beuys immer mehr auch zu einem politischen Akteur der Friedens- und Umweltbewegung der 70er Jahre.

Für die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) kandidierte Beuys 1976 als parteiloser Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Die AUD, welche sich als „Deutschlands erste Umweltschutzpartei” verstand, hatte neben ihrer ökologischen Ausrichtung aber auch nationalkonservative und bisweilen stark rechte Tendenzen und wurde sogar vom Verfassungsschutz beobachtet.

Die AUD ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich „Geschichte wiederholt”:

Gegründet wurde die AUD 1965 u.a. von Ex-FDP-Bundestagsmitglied Hermann Schwann. Schwann, ehemaliges NSDAP-Mitglied, war Teil es rechten Flügels der jungen FDP und sogar zeitweilig im Bundesvorstand. 1960 tat er aus der FDP aus und gründete zunächst die „Vereinigung Deutsche Nationalversammlung”, bis er gemeinsam mit anderen erfolglosen extrem Rechten Kleinstparteien ein „deutlich breiteres Spektrum einer nationalistisch-neutralistischende Sammelbewegung von der rechtsextremen NPD bis zur linken Deutschen Friedens-Union” bilden wollte.
Unter den Gründungsmitgliedern der AUD waren neben Schwann auch NS-Arzt Heinrich Kunstmann. NSDAP-Mitglied und Vorstand des NS-Ärztebund und Mitglied im Hamburger „Herrenclub“, in dem sich Altnazis zu Diskussionsrunden zusammenfanden – aber auch bekennender Christ, brennender Verfechter von Naturheilverfahren und Herausgeber der esoterischen Fachzeitschrift „Hippokrates, Wochenschrift für neue deutsche Heilkunde.”
Oder Hjalmar Schacht, der ehemalige Reichsbank-Präsident und frühere Reichswirtschaftsminister. Einer der 24 angeklagten Hauptkriegsverbrecher im Nürnberger Prozess.
Oder der ehemalige HJ-Führer Wolf Schenke, der schon 1932 NSDAP-Mitglied war und als Publizist für den Völkischen Beobachter als China-Korrespondent arbeitete. Schenke war nach dem Krieg Herausgeber der Zeitschrift „Neue Politik“, die für eine strikte Neutralität Deutschlands im Ost-West-Konflikt warb.
Sowie August Haußleiter, der 1946 in Kulmbach die CSU mitbegründet hatte, 1948 ihr stellvertretender Vorsitzender und bis 1949 Landtagsabgeordneter wurde und Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung in Bayern war. Nach seiner CSU-Zeit versuchte Haußleiter es mit verschiedenen nationalistischen Kleinparteien (Mitbegründer „Deutsche Union”, Gründer und Vorsitzender „Deutsche Gemeinschaft”, Wahlbündnis „Dachverband der Nationalen Versammlung”) bis er zur AUD kam und dort die Parteizeitung „Die Unabhängigen” herausgab und später ihr Vorsitzender wurde.

Die AUD positionierte sich zunächst als „Rechtsdemokraten” in Abgrenzung zur NPD, die ihr als „zu rückwärtsgewandt und zu eng an die NSDAP angelehnt“ erschien.
Doch schnell begann diese rechts-nationalistische Partei sich den studentischen Protesten der 68er-Revolution anzubiedern und Forderungen der studentischen APO zu übernehmen — Reale Demokratie, einen genossenschaftlich geprägten „Sozialismus der Zukunft“, die Politik einer friedlichen Neutralität, die die „Aufklärung der Bevölkerung über die Formen gewaltlosen politischen Widerstandes“ statt einer Wehrpflichtarmee beinhaltete, sowie schließlich, die Gedanken der aufkommenden feministischen Bewegung aufnehmend, ein „Programm für die Frau“.
Die Veröffentlichung „Die Grenzen des Wachstums” des Club of Rome 1972 veranlasste die AUD unter August Haußleiter, eine grundsätzliche Konsumkritik und vor allem den Umweltschutz als Schwerpunkt einer erneuten Neuausrichtung der Partei zu nehmen.
Mit dem neuen Aushängeschild verdoppelte sich auch die Zahl der Mitglieder. Die radikal rechten Kräfte hingegen verließen daraufhin die Partei oder verloren zumindest massiv an Einfluss.

Heute würden wir so etwas „Querfront” nennen.

Genau die Strategien und Methoden rechter und rechtsextremer Kreise, sich staatskritischer Bewegungen zu bemächtigen indem deren Forderungen aufgegriffen werden um sich zu deren Sprachrohr zu machen kann in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder beobachtet werden.
Aktuell sehr deutlich bei den sich „Querdenker” nennenden Mischszene aus Wissenschaftsskeptikern, Impfgegnern und anderen Esoterikern auf der einen Seite – und aus dem rechten bis rechtsextremen Lager stammenden „Patrioten” und antisemitische Verschwörungstheoretiker auf der anderen Seite des Spektrums.
Oder das Adaptieren linker Codizes und aktionsorientierter Jugendkultur durch die „Identitäre Bewegung”; die Vereinnahmung der deutsche Gelbwesten-Bewegung; die Entwicklung und Radikalisierung der AfD als auch deren Themenfindung…

Die Anpassungsfähigkeit rechter und rechtsextremer Kreise an außerpolitische Bürgerbewegungen und deren Unterwanderung ist damals wie heute eine reale Gefahr.
Und nicht immer gibt es eine positive Entwicklung wie in der Ökobewegung.

Beuys verband mit August Haußleiter, Gründer und Vorsitzender der AUD, vor allem das gemeinsame anthroposophisches Weltbild. Die esoterischen Lehren Rudolf Steiners hatten Beuys schon Ende der 40er Jahre begeistert und sind sowohl in sein künstlerisches Werk als auch seine menschliche Weltanschauung eingeflossen. Viele intellektuell unzugängliche Werke des sich selbst mitunter „Schamane” nennenden Künstlers lassen sich mit der Schablone anthroposophischer Lehren neu interpretieren und deuten.

Joseph Beuys bei den Grünen

Auch die Neuausrichtung der AUD hin zu den entstehenden Alternativbewegungen der 70er Jahre und die Nähe zur Ökologiebewegung als „parlamentarischer Arm der Umweltschutzbewegung” machte diese Partei für Beuys interessant.
Deutschlandweit gab es ab Mitte der 70er immer öfter Wahlbündnisse der AUD mit anderen kleineren, auch eher linken Umweltschutzparteien wie „Grüne Aktion Zukunft”, „Grüne Liste Umweltschutz” und dem „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz um Petra Kelly
Auf dem Frankfurter Kongress im März 1979 wurde die politische Vereinigung „Die Grünen“ für die Europawahl gegründet und im Januar 1980 kam es in Karlsruhe zum Gründungskongress der Partei „Die Grünen”.

Beuys-Plakat 1980
Beuys entwarf die Sonnenblume als das ikonisches Symbol der Grünen

Joseph Beuys war selbst alle drei Tage auf dem Gründungskongress anwesend und ein reger Mitdiskutant.
Im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gestaltete Beuys Plakate und führte aufmerksamkeitserregende Kampagnen und Wahlveranstaltungen für die neue Partei durch.
Und in Düsseldorf wurde auf sein Betreiben hin ein erstes „Informationsbüro” der neu gegründeten Partei eröffnet.
Zur Bundestagswahl 1983 verpasste Beuys auf der Landesliste der Grünen einen der vorderen Plätze, worauf er seine Listenkandidatur zurück zog und nur als Direktkandidat im Wahlkreis Düsseldorf-Nord antrat.

Beuys beendete zwar die direkte Mitarbeit bei den Grünen 1984, blieb jedoch bis zu seinem Tod Mitglied der Partei.
Seine eigenen politischen, zum Teil radikaldemokratischen Ideen aber hat er bei den Grünen jedoch nie durchsetzen können.

Neben Joseph Beuys ist auch sein AUD-Weggefährte August Haußleiter wichtiger Teil der neuen Grünen geworden.
Er war Versammlungsleiter des Gründungskongress, wurde als einer der ersten Sprecher der neuen Partei gewählt und gab lange die Parteizeitung „Die Grünen” mit heraus.
Im April 1980 sendete das ARD-Politik-Magazin Monitor einen kritischen Beitrag über Haußleiter, welcher seine rechtsnationale Vergangenheit thematisierte. In Absprache mit dem Bundeshauptausschuss trat Haußleitner im Juni 1980 auf der nächsten Versammlung der Grünen in Dortmund zurück. Sein Nachfolger wurde der bayerische AUD-Landesvorsitzende Dieter Burgmann. Ehemalige AUD-Mitglieder wurden Vorsitzende der beiden süddeutschen Landesverbände der GRÜNEN, so dass sie vor allem dort zur Zeit der grünen Gründerjahre einen nennenswerten Einfluss hatten. Als die Grünen 1986 das erste Mal in den bayrischen Landtag einzogen, war August Haußleitner einer der 15 Abgeordneten. 1987 legte er sein Mandat aus gesundheitlichen Gründen wieder nieder.

Die braune Vergangenheit einiger Gründungsströmungen in der Anfangsphase der Grünen waren und sind immer wieder Teil der kritischen Auseinandersetzung der Partei mit ihrer eigenen Geschichte.

Die heute klar antifaschistische Haltung der Grünen ist der Schluss aus dieser Selbstreflektion.

Joseph Beuys starb Januar 1986.

August Haußleitner starb im Juli 1989.




Eine kleine Anekdote über Beuys und die Grünen

In der Stadt Marl gründete sich 1978 eine Grüne Wählergemeinschaft. Die ersten Treffen der Initiative fanden in einem selbstverwalteten Jugendzentrum in einer alten Bäckerei an der Hochstraße 12 statt. In direkter Nachbarschaft eines alternativen Buchladens, einer emanzipatorischen Frauengruppe im Obergeschoss und einem italienischen Restaurant.

Als Wahlwerbung für die Kommunalwahl 1979 wurde von der neu gegründeten Initiative ein riesiges „Grün wählen, ja bitte!“ in Form des bekannten „Atomkraft? Nein, Danke!“-Motivs an die Fassade gemalt.

Das fertige Bild wollte die Stadt Marl verbieten lassen und zog vor Gericht.
Joseph Beuys aber, häufiger Gast der Marler Grünen, ging zu dem Wandbild, signierte es und deklarierte es somit zu einem Kunstwerk. Ähnlich wie Durchamp und andere Vertreter des Fluxus vorher Objekte nur durch ihre Signatur zu einem „Ready made“-Kunstwerk machten.

Und tatsächlich entschied das Gericht, dass die Stadt Marl dieses „Kunstwerk“ nun nicht mehr entfernen lassen dürfe.

Im Laufe der Zeit ist der Buchladen umgezogen, die alte Bäckerei hat sich aufgelöst, die Frauengruppe gibt es natürlich auch nicht mehr.
Jahre später, nach einigen Besitzerwechseln der Immobilie wurde tatsächlich eine zweite Fassade wenige Zentimeter über dem „Kunstwerk“ errichtet.

Doch unter der langweiligen Schiefer-Wand existiert das „Kunstwerk” von damals noch immer.
Und auch die Pizzeria gibt es nach über 40 Jahren noch…

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